Tempel der Nacht - Quality Magazine
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Tempel der Nacht

Nachtclubs sind weit mehr als Orte zum Tanzen. Sie sind eskapistische Refugien, wo Zeitgeist in musikalischen und räumlichen Kompositionen erlebbar wird. Ihr Charme liegt im Temporären, im Gefühl des Moments – und nicht im Beharren auf Ewigkeit. Ein Streifzug durch die wichtigsten Adressen, die die Nacht zum Tag verwandelt haben und es zum Teil bis heute tun.

von Norman Kietzmann

Tanz und Raum gehen Hand in Hand – und das sogar auf offizieller Ebene. Die größten Säle in Schlössern oder Burgen waren stets dem zentralen, höfischen Ritual vorbehalten: dem Ball. Auch in Hotels wird diese Logik bis heute vorgesetzt. Ein Neuanfang geschah hingegen beim Übergang zur Clubkultur, die mit drei entscheidenden Dingen brach. Punkt Nummer eins: Die Tür. Bei einem Tanzsalon oder Ball wird jedem, der ein Ticket oder eine Einladung ergattert hat, auch ohne Gesichts- und Outfitkontrolle Zutritt gewährt, vorausgesetzt der Dresscode – klassischerweise Frack oder Smoking für den Herren, langes Abendkleid für die Dame – wird eingehalten.

In einen Club darf nicht jeder hinein. Über den Zugang entscheiden Türsteher, die sich zu Zeremonienmeistern der Nacht erheben und ihr Urteil wie das unanfechtbare Machtwort eines eisernen Regenten aussprechen. Der zweite Punkt betrifft die Musik. Wird diese auf Bällen oder in Tanzlokalen stets von einer Liveband gespielt, kommt sie in Clubs von der Schallplatte oder dem Computer und wird – Punkt Nummer drei – zu endlosen ineinander übergehenden Klangfeldern vermischt. Clubs sind Orte des Eskapismus. Sie definieren eine eigene Welt, in die die Besucher für einige Stunden abtauchen und den Alltag vergessen können.

Daran war am Anfang noch nicht zu denken, als die ersten Diskotheken in den 1930er Jahren in Südfrankreich entstanden. In Marseille ließen viele Seeleute ihre Platten in den Lieblingsbars zurück, um während des Landurlaubs dort ihre eigene Musik zu hören. Die so genannten Diskotheken funktionierten genau wie Bibliotheken – nur dass anstelle von Büchern Platten in den Regalen verstaut wurden. Während der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg wurde in diesen Lokalen auch getanzt. Weil Live-Auftritte von Bands nur schwer zu organisieren waren, wurden temporeiche Jazz-Schallplatten abgespielt, die zugleich auch ein politisches Statement gegen die jazzfeindlichen Besatzer waren.

Zu einer wichtigen Adresse entwickelte sich das 1947 in der Pariser Rue de Seine eröffnete „Whisky à Go Go“ (kurz Le WAGG), wo ebenfalls nur Jazz gespielt und – im Weinland Frankreich eher ungewöhnlich – vor allem Whisky ausgeschenkt wurde. Der Name ist später übrigens von einem weiteren Club übernommen worden, der 1964 am Sunset Strip in Hollywood eröffnete und erstmals animierende Tänzerinnen – die Go-Go-Girls – auftreten ließ. Die eigentliche Innovation geschah jedoch zuvor in Paris: Eine Mitarbeiterin des Whisky à Go Go war die Chansonsängerin und Bardame Régine Zylberberg. Sie störte sich daran, dass nach dem Ende einer Juko-Box-Platte immer ein Moment der Ruhe einkehrte und den Tanz unterbrach.

„Also entfernte ich die Jukebox und installierte stattdessen zwei Plattenspieler, sodass es keine Pause in der Musik mehr gab. Es war die erste Diskothek und ich war der erste DJ“, erinnert sich Régine Zylberberg an jenen Moment im Jahr 1953, der das Nachtleben nachhaltig revolutionieren sollte. Fünf Jahre später gründete die inzwischen berühmt gewordene Nachtgestalt ihren eigenen Club in der Rue de Ponthieu, nur 50 Meter von den Champs-Élysées entfernt: „Chez Regine“.

Die Kunst der Verknappung beherrschte Zylberberg in Perfektion. Sie öffnete die Türen und hängte für einen Monat lang ein Schild davor, das darauf hinwies, dass das Lokal voll sei. Das war natürlich erlogen. Doch die umtriebige Besitzerin machte mit ihren Freunden außerordentlich viel Lärm, der zusammen mit lauter Musik nach draußen drang und dafür sorgte, dass sich die Adresse herumsprach. Als einen Monat später tatsächlich die ersten Gäste hineingelassen wurden, war der Club rappelvoll.

Alain Delon, Brigitte Bardot, Jean-Paul Belmondo, Salvador Dalí und selbst Ministerpräsident Georges Pompidou feierten dort – umringt von Art-Deco-Spiegeln, Brokatsofas und von schlangenumringten Tischleuchten. Als Geburtsstädte der Disko gilt das Chez Régine noch aus einem anderen Grund: Als 1961 das Ensemble des Musicals West Side Story den Club besuchte, brachten sie den anwesenden Gästen den Twist bei, der das Ende des klassischen Paartanzes bewirkte und die Menschen auf der Tanzfläche deutlich enger zusammen kommen ließ. Die Partys wurden wilder, freier und sprachen sich sogar bis in die Mauern von Palästen herum.

Eines Nachts klingelte das Telefon und Edward III. Duke von Windsor war am Apparat. Er bat Régine, in sein Haus zu kommen und ihm den Twist beizubringen. Doch die Clubbesitzerin blieb eisern: „Nein, Du musst in meinen Club kommen und ich bringe ihn Dir hier bei“, entgegnete sie dem abgedankten König. Dass Paris Mitte der sechziger Jahre bereits über 400 Nachtclubs zählte, sollte den Erfolg vom Chez Régine nicht absprechen: Die Clubchefin wachte selbst mit strengem Auge über den Einlass und auf eine Mischung aus Prominenz und Stammgästen. Unbekannte wurden fast ausnahmslos abgewiesen. „Es gibt nichts Prickelnderes, als den Zugang zu einem Ort verwehrt zu bekommen, an dem man sein Geld ausgeben will“, brachte das Boulevardblatt Paris Match die Wirkung auf den Punkt.

1975 zog Régine Zylberberg nach New York und eröffnete dort einen Ableger des Chez Régine, wo Jack Nicholson, Anthony Quinn und Andy Warhol regelmäßig ein- und ausgingen. Doch schon zwei Jahre später zog die Prominenz weiter: Ins soeben eröffnete „Studio 54“ an der 54. Straße – den bis heute legendärsten Nachtclub aller Zeiten, der von Steve Rubell und Ian Schrager geleitet wurde. Der Grund für dessen Erfolg lag in der Loslösung der Konventionen. Chez Régine funktionierte wie ein von Freunden gefülltes Wohnzimmer, ein lockeres, doch kontrolliert-bourgeoises Ambiente. Das Studio 54 verwandelte ein früheres Theater in eine riesige Bühne, auf der alles erlaubt war: selbst der wildeste Exzess.

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