Auf den roten Punkt gebracht - Quality Magazine
24966
post-template-default,single,single-post,postid-24966,single-format-standard,ajax_fade,page_not_loaded,,qode-title-hidden,qode_grid_1300,footer_responsive_adv,qode-theme-ver-10.1.2,wpb-js-composer js-comp-ver-5.1,vc_responsive

Auf den roten Punkt gebracht

Kann man Design wirklich objektiv beurteilen? Ja, wenn eine qualifizierte Jury am Werk ist, sagt Professor Peter Zec, Initiator und CEO des Red Dot Design Awards, der bereits 1955 vom Design Zentrum Nordrhein Westfalen und keinem anderen als Krupp in die Welt gesetzt wurde. Längst ist die renommierte Auszeichnung zur Marke avanciert, der “Rote Punkt” gilt vielerorts als Qualitätsmerkmal und steht vor allem für Innovation, Funktionalität und Verantwortung. Jährlich vergibt eine Expertenjury Red Dots in den Kategorien Product Design, Communication Design und Design Concept. Aber worauf genau kommt es der Jury an? Mit Quality sprach Zec über die Definition von Design, seine Abneigung gegen alte Möbel in neuen Wohnungen und über die Sinnhaftigkeit schöner Zitruspressen.

von Susanne Filter

Professor Zec, mir ist aufgefallen, dass Sie eine ganz bestimmte Vorstellung von Design haben – eine persönliche Definition von gutem Design…

Mir geht es um die vier Qualitäten, die ein Produkt abdecken muss: Qualität der Funktion, Qualität der Verführung – das heißt der ästhetischen Ansprache -, die Qualität des Gebrauchs und Qualität der Verantwortung. Wobei Verantwortung nicht einfach als ökologische Verantwortung zu verstehen ist, sondern auch als kulturelle oder soziale Verantwortung. Es gibt Produkte, die sind einfach sozial unanständig. Zum Beispiel, wenn jemand einen Hummer fährt, halte ich das im Zivilstraßenverkehr für eine ziemliche Sauerei. Gesundheitsschädigende Materialien, zu hohe Geräuschpegel, das alles gehört zum Aspekt Verantwortung. Es kommt immer darauf an, in welchem Feld des Produktdesigns man sich bewegt. Wenn ich zum Beispiel einen Salzstreuer von WMF vor mir habe, spielt Funktion eine klare Rolle: Es muss Salz und Pfeffer herauskommen. Gebrauch und Verantwortung spielen dagegen eine untergeordnete Rolle.

Aber wie ist das mit der Funktion bei Tableware? Es gibt optisch ansprechend designtes Besteck, das zum Beisiel aufrecht stehen soll. Aber ich kenne das, das kippt immer um!

Also Hans-Peter Pott, von Pott Bestecke, hat mich vor 25 Jahren eingeladen und gab mir einen Crash-Kurs in der Funktionalität von Besteck und hat mir erzählt, wie ein Besteck strukturiert sein muss. Zum Beispiel, dass es gut ausbalanciert in der Hand liegen muss und dass eine Gabel in der Lage sein sollte, auch Soße aufzunehmen. Da konnte man sehen, dass Besteck durchaus über eine funktionale Dimension verfügt. Denn Design hat immer ein Problem zu lösen. Pott hat zum Beispiel für den Kölner Stadtrat eine Gabel mit fünf Zinken entwickelt, weil sich die Stadträte damals bei ihren Sitzungen immer Soße bekleckert haben. Ich benutze die übrigens auch selbst Zuhause. Die ist sensationell!

Also das alte Credo “Form follows Function” ist für Sie Voraussetzung.

Ja, absolut.

Ein anderes Beispiel ist die berühmt-berüchtigte Zitruspresse von Philipp Starck für Alessi, die ein Designklassiger geworden ist, aber der ausgepresste Saft findet nie sein Ziel…

Das ist für mich kein Design, das ist Kunsthandwerk. Das hat mit Design nichts zu tun, das ist totaler Quatsch.

Aber die Presse wird als Design-Ikone gehandelt.

Ja, durch Magazine, die dieses Ding abbilden, schön finden und sagen Philipp Starck ist ein Designer. Ist er aber eben nicht, er ist ein guter Marketingmann, ein guter Kunsthandwerker. Fertig. Bei Design, wie gesagt, geht es um die Lösung von Problemen. Beim Kunsthandwerk geht es einfach um rein ästhetische Lösungen. Das macht den Unterschied. Es gibt eben diese prominenten Designer, die in den Lifestylemagazinen oder in den Möbelmagazinen gehypt werden, zum Teil für Entwürfe, die nie in Produktion gehen – das muss man wissen.

Welches Design bereitet Ihnen persönlich Gänsehaut?

Ich habe gehört, bei Bombardier arbeitet man derzeit an einem Flugzeug, das in 20 Minuten von London nach New York fliegt. In 20 Minuten, das ist eine Rakete! Oder Jonathan Ive, der unsere wunderbaren iPads und iPhones gemacht hat. Wenn Sie mal überlegen, was das iPhone wirklich in unser Leben gebracht hat, nämllich dass kein Mensch mehr auf ein Smartphone verzichtet. Das war vorher anders. Ich habe nie ein Blackberry oder so etwas besessen, weil es mir immer zu blöd war, mit dieser Minitastatur E-Mails zu schreiben. Aber als das iPhone auf den Markt kam, hat das Ding plötzlich unser und auch mein Leben verändert. Und man kann sich die Evolution der Produkte in unserem Museum in Essen anschauen, dort haben wir die größte Apple-Ausstellung überhaupt und die einzige weltweit, die Apple genehmigt hat.

Sie sind ein bisschen bösartig zu den Möbeldesignern…

Weil es da ein Missverhältnis gibt, im Hinblick auf den Bekanntheitsgrad, “gehypt werden” und tatsächlicher gesellschaftlicher Relevanz. Die gesamte italienische Möbelindustrie ist kleiner als die Nordrhein-Westfälische Industrie.

Aber dort wird nicht für diese spezielle Kundschaft der Design-Enthusiasten produziert, die italienisches Design kauft, da geht es oft um den Massenmarkt.

Wir Deutschen gelten als absolute Markenexperten der Welt, kein Land beherrscht Markenpflege besser als Deutschland. Dazu gehört, dass man nicht zu innovativ ist im Design, selbst wenn man es sein könnte, sondern, dass man immer die Balance zwischen Innovation und Tradition behält. Das ist Markenidentität. Ein gutes Beispiel ist Apple: Als Apple nichts zu verlieren hatte, entwickelte Steve Jobs verrückte Designs wie diesen ersten iMac, der wie eine Kugel aussah. Damit hat er natürlich ungeheure Aufmerksamkeit erregt und den Markt aufgeweckt. Als der Erfolg da war, fingen er und Jonathan Ive an, echtes Designmanagement zu machen und von da an wurden die Produkte alle aufeinander abgestimmt entwickelt. Keine innovativen Ausreißer, sondern ein Produkt folgte der Designlinie des anderen. Es ist extrem schwer, das so zu machen. Wie man von einer Generation auf die Nächste umsteigt und dabei dem Benutzer trotzdem vermittelt: „Hey du brauchst das Neue!“ Darin besteht das Können großer Designer.

So wie man in der Automobilbranche häufig sagt: „Warum soll ich ein Produkt ändern, das im Design sehr gut läuft?“ Das heißt, eigentlich ist die Steigerung des Umsatzes nicht unbedingt immer parallel zu dem, was das Design an Innovation bietet.

Diese Problematik kann man übrigens gut an Amerika sehen, dort gibt es viele interessante Autodesigns. Aber alle haben einen Nachteil: Man kann nicht erkennen, welche Marke es ist. Wenn man in Amerika über die Straße geht und ein interessantes Auto sieht, weiß man nicht, ob es ein Chrysler ist, ein Generalmotors oder ein Ford. Und damit hat sich die amerikanische Automobilindustrie fast ruiniert. Die ist nahezu am Boden und das liegt daran, dass sich das Design eben nicht im Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation befindet. Für einen Designer ist es sehr viel einfacher aus dem Nichts heraus zu arbeiten, als mit einer bestehenden Produktpalette. Da muss man sehr sensibel sein. Der beste Beweis dafür ist zum Beispiel der Porsche 911. Porsche produziert immer wieder ein neues Auto, das minimal anders ist und trotzdem immer die gleiche DNA hat. Wenn man den Neuen neben dem Vorgänger sieht und dann weit zurückgeht, dann sieht man Nuancen der Veränderung im Design und wie gut diese herausgearbeitet sind. Aber die Amerikaner neigen dazu, der Innovation zu viel Spielraum zu geben und zu viel Bedeutung beizumessen. Das wurde auch Chris Bangle, dem ehemaligen Designer von BMW zum Verhängnis.

Müssen diejenigen, die beim Red Dot neue Designs bewerten, ein hohes Gespür für den Zeitgeist mitbringen?

Nein, denn Profis sind Profis. Die richtig guten Leute können das immer. Wichtiger ist, dass man stets Designer in der Jury hat, die aus den einzelnen Brachen kommen und diese kennen. Wir arbeiten für jeden Fachbereich immer mit drei Juroren, die in diesem Bereich tätig sind und Erfahrung haben. Wenn ein Möbeldesigner ein Autodesign bewerten soll, funktioniert das überhaupt nicht.

Und wie viele Spezialisten beziehungsweise Juroren gibt es derzeit beim Red Dot?

Es sind 45 Juroren.

Kann ein Design, welches seiner Zeit voraus ist, das aber Potenzial in der Zukunft und bloß noch keine Plattform hat, einen Red Dot bekommen?

Fairerweise muss ich sagen: Das hängt von der Qualität der Juroren ab. Als der iPod herauskam hatten wir einen Schweizer Juror, der sich damit auskannte und den anderen erklärte, “schaut mal, das ist die Zukunft des Musikhörens“, und er konnte die anderen Juroren von der Qualität dieses Produktes überzeugen. Deshalb bekam schon der erste iPod von uns eine Auszeichnung.

Schauen sich die Juroren alle Produkte gemeinsam an und diskutieren darüber oder bewertet jeder für sich?

Vom Procedere her hat es sich als beste Art herausgestellt, jedem Juror erst einmal so viel Zeit wie er will zu geben, sich mit den einzelnen Produkten zu beschäftigen. Entsprechend versuchen wir die Anzahlt der Produkte pro Tag so zu gestalten, dass jedem genügend Zeit zur Verfügung steht. Nach dieser individuellen Phase kommen alle zum Jurieren zusammen. Wir legen viel Wert darauf, dass ein Produkt alle drei Juroren überzeugt. Ganz selten gibt es eine Entscheidung zwei zu eins. Wir brauchen Juroren, die mit großer Fairness die Arbeit ihrer Kollegen beurteilen können. Dafür ist nicht jeder geeignet.

Was war das größte Produkt, das die Jury des Red Dot je bewertet hat?

Gerade wartet auf uns ein absoluter Knüller: Am Ende der Jurywoche werde ich mit den Transportation-Design-Juroren nach Toulouse fliegen, um vor Ort einen Airbus zu jurieren.

Und was war das kleinste Produkt?

Ich glaube ein Diamant, der hieß Context Cut. Dieser Diamant, wird auch in einen Spannring von Niessing eingearbeitet. Das war wahrscheinlich das kleinste Produkt, was wir je ausgezeichnet haben – und zugleich eines der sehr wertvollen.

Sie selbst sind permanent von den neuesten Designs umgeben, beeinflusst Sie das persönlich? Richten Sie sich ständig neu ein oder sind Sie eher konservativ, klassisch?

Sowohl als auch. Eingerichtet bin ich tatsächlich mit sehr vielen Klassikern und es ist immer sehr aufgeräumt. Bei mir zu Hause sieht es nicht so aus, als wenn jemand dort wohnt, obwohl wir Kinder haben. Die Kinderzimmer sehen aber anders aus. Und ich richte grundsätzlich jede Wohnung, die ich kaufe oder baue, neu ein. Also nicht mit Möbeln, die ich von einer Wohnung in die andere schiebe, sondern es wird immer alles komplett neu eingerichtet.

Sie haben gar nichts Altes?

Nein, alte Sachen mag ich nicht. Bis auf eine Ausnahme: Eine Lange & Söhne Taschenuhr, die musste sein.

 

Professor Zec, vielen Dank für den Blick hinter die Kulissen des Red Dot Awards und Ihre Sicht auf den Design-Begriff.

No Comments

Post A Comment