16 Mrz Erst Gas, dann Gras
Seit Urban Spaces mehr sind als akkurat bepflanzte Stadtparks, inspirieren sich Metropolen gegenseitig zu immer neuen kreativen Um- und Wiedernutzungen stillgelegter Areale: Egal, ob der New Yorker Brooklyn Bridge Park oder das Tempelhofer Flugfeld in Berlin. In London wurde jetzt der „Gasspeicher Nr. 8“ eröffnet, der fortan Gras für die Nachbarschaft, statt Gas für London bietet.
Die Reaktivierung urbaner Lebensräume erfährt seit Beginn der 2000er Jahre einen regelrechten Boom. Stadtplaner und Architekten westlicher Metropolen begannen, neuartige Ideen zu präsentieren, die alle eines zum Ziel hatten: einladende Freizeit-Oasen, Orte der Entspannung, zu schaffen – und das mitten im Großstadtdschungel. Dazu wurden jedoch keine neuen Parks angelegt, keine Hallenschwimmbäder gebaut, oder Zoos eröffnet. Stillgelegte U-Bahnhöfe, alte Piere, ungenutzte Gleise oder alte Frachtschiffe verwandelten sich in kreative Hotspots oder einfach nur in neue grüne Treffpunkte innerhalb der Nachbarschaft. Clubs, Parks oder Pools enterten die stillgelegten Objekte und belebten dadurch häufig das umliegende Viertel. Großstädte sind oft sexy, noch häufiger sind sie arm. Und so wurden zahlreiche sogenannte Urban Spaces aus der Not geboren, beziehungsweise in einer Art Interimsphase den Menschen überlassen, wie das Tempelhofer Flugfeld. Etwas durchgestylter geht es auf der High Line zu, dem ca. 2,3 Kilometer langen Hochpark, der auf einer stillgelegten Industrie-Bahnlinie in Manhattan angelegt wurde und als neue Touristenattraktion des Big Apples gilt. Ganz selbstverständlich wird hier gejoggt, relaxt oder spaziert.
In London eröffnete jetzt „Gasholder No. 8“, ein Gasometer aus den 1850er Jahren, der seit jeher zur Ufer-Skyline des Viertels King‘s Cross gehört. Als Gasspeicher war das 25 Meter hohe, kreisrunde Gebäude bis zum Ende des 20. Jahrhunderts als Teil des größten Gaswerks Londons in Betrieb. Etwas weiter südlich am Regent‘s Kanal begann man 2011 das Viktorianische Gerüst an seinem Ursprungsort behutsam abzubauen von Antonia Ostersetzer und in Yorkshire zu restaurieren. Unter der Leitung des Büros Bell Phillips Architects wurde der Gasspeicher jetzt an seinem neuen Zuhause als öffentlicher Park wieder aufgebaut und erweitert. Eine Wiese, Bänke und ein ringförmiges Eisendach an den Außenseiten ergänzen das monumentale Industrie-Kunstwerk. Laut Planung sollen drei weitere Gasometer-Parks folgen, die als Teil eines Wohnungsbau-Projekts reaktiviert werden und grüne Oasen schaffen. Mit der neuen Wertschätzung der alten Industriebauten entstand ein neues Faible für dessen Design, Fabriklampen und Werkbänke finden sich mittlerweile in jedem Möbelhaus. Der kühle Charme der Industrieviertel, die schiere Größe der Gebäude sind plötzlich hip und feiern die Historie der Großstädte. Diese Wiederentdeckung der zum Teil wunderschönen Konstruktionen, die nicht länger ungenutzt vor sich hinrotten, verleihen heute vielen Straßenzügen erst ihren coolen Touch. Second-Hand-Parks, die ein neues Verständnis von Erholung und städtischer Natürlichkeit ausdrücken. Denn wenn man den Wald nicht nach London holen kann, warum es überhaupt versuchen?
Die stylishen Großstadt-Parks bieten reichlich Platz zum Relaxen und integrieren sich wie von selbst in die vorhandene Umgebung. Hinter so mancher Ecke überrascht inzwischen ein Mini-Park, eine grüne Joggingstrecke oder ein Fussballplatz auf dem Wasser. Eines haben alle umfunktionierten Urban Spaces gemeinsam: Binnen Tagen und Wochen werden sie von den dankbaren Großstädtern in Beschlag genommen, bespielt, modifiziert und geliebt. Und plötzlich ist es so, als habe man schon immer im Gasometer Federball gespielt.
Sorry, the comment form is closed at this time.