Himmel aus Beton - Quality Magazine
2171
post-template-default,single,single-post,postid-2171,single-format-standard,ajax_fade,page_not_loaded,,qode-title-hidden,qode_grid_1300,footer_responsive_adv,qode-theme-ver-10.1.2,wpb-js-composer js-comp-ver-5.1,vc_responsive

Himmel aus Beton

Sie sind die wahrscheinlich letzten wahren Refugien unserer lärmenden Städte und Orte der Ruhe und Kontemplation: Kirchen – Häuser Gottes auf Erden für die Gläubigen, Prestigeobjekte der Mächtigen und Ikonen der Baukunst. Um kaum eine andere architektonische Besonderheit ranken sich mehr Geschichten und Mythen, als um die Entstehung großer Baudenkmaler zu Ehren unserer Götter. Zu den wichtigsten Vertretern der modernen Sakralbaukunst des 20. Jahrhunderts, gehört der deutsche Pritzker-Preisträger Gottfried Böhm.

von Diana Herrler

Betrachtet man Böhms Leben und Schaffen, so fällt eines auf: die Liebe zur Architektur scheint ein Generationen übergreifendes Anliegen dieser Familie zu sein. Gottfried Böhm, der im hessischen Offenbach als Sohn des bedeutenden Kirchenarchitekten Domenikus Böhm geboren wurde, lebt und arbeitet in Köln. Nach dem Studium in München, wo er seine Frau Elisabeth Haggenmüller, ehemalige Kommilitonin und Architektin, kennen- und lieben lernte, zog es ihn zurück ins Rheinland, das in den 30er Jahren, als der Vater eine Professur an der Kölner Werksschule angeboten bekam, zur Heimat der Familie Böhm geworden war. Das Haus, von seinem Vater Domenikus gebaut, dient der Familie, die bereits in der dritten Generation fast ausschließlich den Beruf des Architekten ausübt, noch immer als Heim und Arbeitstätte. Dort entstehen die Entwürfe zweier Generationen, friedlich nebeneinander. Ähnlich harmonisch gestaltete sich auch die Arbeit zwischen Gottfried und Domenikus. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, zog die Familie übergangsweise zurück ins baden-würtembergische Jettingen, Domenikus alte Heimat. Gottfried, der noch während des Krieges sein Studium der Bildhauerei und Architektur an der TU München beginnen konnte, da er durch eine Fußverletzung vom Kriegsdienst befreit worden war, unterstützte seinen Vater zu dieser Zeit bei einigen kleineren Projekten. Zu zweit saßen sie in einer winzigen Dachkammer, rauchten Pfeife und fertigten Entwürfe für Friedhofskapellen und Fenster an. Nach Kriegsende kehrte der Vater nach Köln zurück und Gottfried folgte 1947, nach der Beendigung des Studiums seiner Frau. Seine erste Schaffensphase als studierter Architekt begann zu einem Zeitpunkt, als das Wirken von Dominikus noch nicht beendet war. Die Arbeiten von Vater und Sohn griffen ineinander über, ergänzten sich und vervollständigten einander. Gottfried, noch im Findungsprozess einer eigenen, kreativen Handschrift, fand zu dieser Zeit seine Inspiration häufiger in den Zeichnungen seines Vaters, als in den Entwürfen zeitgenössischer Architekten. Da in den Nachkriegsjahren der Wiederaufbau der Städte höchste Priorität hatte, beschäftigten sich Vater und Sohn vor allem mit Lösungsansätzen zur Verbindung notwendiger neuer, und erhaltener Bausubstanz. Gottfrieds erstes unabhängiges Bauprojekt war in diesem Zusammenhang die Neugestaltung der St. Kolumba Kapelle, auch „Madonna in den Trümmern“ genannt, da er eine achteckige, eingeschossige Marienkapelle, in die noch stehenden Ruinenreste integrierte. In den darauf folgenden Jahren, entwickelte er zahlreiche architektonische Ansätze seines 1955 verstorbenen Vaters weiter, und eignete sich eine eigenwillige, ausdrucksstarke und körperhafte Architektur an. 1970 endete erst einmal der sakrale Bauboom und Böhm wandte sich anderen Projekten zu. Insgesamt wurden nach seinen Entwürfen 69 Kirchen und Sakralbauten in Europa und Amerika realisiert.

Der mittlerweile 91-Jährige, der von der eigenen Zunft oft als Exzentriker empfunden wird und mit seiner Wandelbarkeit, die eine klare Einordnung seines Werkes schwierig macht, zuweilen verunsichert, ist eine Ausnahmeerscheinung im Kreise der „Architekten der Moderne“. Seine fast schon übertriebene Abkehr von zeitgenössischen Strömungen, wie dem Bauhaus, als dieser die richtungsweisende, architektonische Bewegung war, eindrucksvoll verdeutlicht durch die Entwürfe von Mies van der Rohe oder Walter Gropius, ist kennzeichnend für seine Persönlichkeit. Böhm versuchte nie im Fahrwasser seiner populären Kollegen mitzuschwimmen, obwohl er die Gelegenheit hatte, mit ihnen während einer Studienreise in den USA zusammen zu arbeiten. Sich anzubiedern oder nostalgische Anklänge zu finden, nicht in seinem Sinne.

Vielmehr gönnte er sich mit dem Selbstverständnis eines Mannes, der um die eigenen Fähigkeiten weiß, den Luxus sich immer wieder neu zu erfinden. Seine anfänglich skulpturalen Entwürfe, wie beispielsweise die Wallfahrtskirche in Neviges bei Wuppertal, die nach dem Wunsch des Kölner Erzbistums, monumentale Dimensionen haben sollte, wurde fast ausschließlich mit dem für ihn typischen Baustoff Beton realisiert. In der Mitte seines Lebens entwickelte er sich weiter zu Glas- und Stahlbauten, anschaulich verdeutlicht durch die verschalte Fassade des Eingangsbereiches von Schloss Saarbrücken. Zu seinen neueren Entwürfen, gehören das Hans-Otto-Theater in Potsdam, eine schalenförmige, geschichtete Konstruktion, die an die Oper in Sydney erinnert, oder die futuristisch anmutenden Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld. Eines gelingt Böhm in seiner Vielseitigkeit jedoch immer – er überrascht. Und neben dem Privileg mit Böhm den einzigen Pritzker-Preisträger in Deutschland zu haben, verdanken wir ihm noch eines: die Reichtagskuppel in Berlin, jährlicher Anziehungspunkt für Millionen von Menschen.

Sir Norman Foster, Gewinner des Wettbewerbs um die Neugestaltung des Reichtages, hatte keinerlei Kuppel vorgesehen und weigerte sich beharrlich, eine solche in seine Entwürfe zu integrieren. Da seine ursprünglichen Pläne für eine Dachkonstruktion keinen Anklang fanden und das geplante Budget, um ein Vielfaches überschritten, bestand das Abgeordnetenhaus darauf, die Idee der Kuppel wieder aufzugreifen. Man erinnerte sich daran, dass Gottfried Böhm schon anlässlich der Ausrichtung des Wettbewerbs 1992 einen Entwurf für ein Kuppeldach veröffentlicht hatte, das 1988 bereits von Bundeskanzler Helmut Kohl in Auftrag gegeben worden war. Dieser Entwurf zeigte bereits eine Glaskonstruktion mit spiralförmig aufsteigenden Gehwegen für Besucher, und ist die offensichtliche Grundlage für das Bauwerk, wie es heute existiert. So ist Böhms Ausnahmetalent nicht nur ein phantastischer Bau geschuldet, sondern auch ein himmlisches Geschenk an die Hauptstadt gelungen, die mit einer wunderschönen Kuppel gesegnet wurde.

Zitat:  „Ein Gebäude ist für den Menschen Raum und Rahmen seiner Würde, und dessen Äußeres sollte seinen Inhalt und seine Funktionen reflektieren.“

No Comments

Sorry, the comment form is closed at this time.