Lichtgestalten - Quality Magazine
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Lichtgestalten

Tokujin Yoshioka geht an die Grenzen der Materialität. Erinnert sein Sessel „Bouquet“ an ein Möbel gewordenes Blütenmeer, wird sein „Pane Chair“ wie Brot im Ofen gebacken, während sich seine Möbelserie „Invisibles“ optisch in Luft aufzulösen scheint. Alles nur Spielerei? Von wegen. Denn trotz ihrer Leichtigkeit sind Yoshiokas Arbeiten alles andere als gestalterische Luftnummern. Sie experimentieren mit Materialien, ohne vordergründig technisch zu wirken. Sie sind Avantgarde in archaischem Gewand und bringen den Zeitgeist damit treffend auf den Punkt. Ein Gespräch über unendliche Stühle, kristalline Aquarien und seine Verbindung zu Henri Matisse.

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Herr Yoshioka, Ihre Entwürfe kommen stets mit einer leichten, beinahe zerbrechlichen Erscheinung daher. So wirkt ihr Stuhl „Memory“für Moroso (2010) wie eine Wolke aus Aluminiumfolie und entpuppt sich erst beim vorsichtigen Draufsetzen als funktionales Möbelstück. Wollen Sie den Betrachter an der Nase herumführen?

Wenn man allein an der Form von Produkten arbeitet, kann man kaum einen Schritt nach vorne gehen. Es gibt heute so viele Möbel, die sich sehr ähneln, weil sie alle aus denselben Materialien gefertigt sind. Ich denke, als Designer müssen wir uns mindestens genau so viele Gedanken über die Materialien machen wie über die Form oder Funktion eines Objektes. Mit „Memory“ wollte ich einen Stuhl entwerfen, der anstelle einer statischen Form eine unendliche Anzahl an Variationen zulässt, die von den Benutzern nach Belieben verändert werden können. Wie bei einem Spiel. Auch wenn das Material auf den ersten Blick wie Aluminiumfolie aussieht, ist es in Wirklichkeit ein weicher, komfortabler Stoff, in dem man bequem Platz nehmen kann. Erwartungen zu brechen, finde ich sehr reizvoll.

Für Ihr Sofa „Paper Cloud“für Moroso (2009) haben Sie Papier wie einen drappierten Stoff verarbeitet. Woher wissen Sie, wie weit sich bestimmte Materialien ausreizen lassen?

Ich entwickle ja keine grundlegend neuen Technologien, sondern nutze immer Dinge, die bereits vorhanden sind. Ich versuche dann, auf diese Technologien aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu schauen. Dass mich Stoffe interessieren, hat sicher mit meiner Arbeit für Issey Miyake zu tun, der auch sehr spezielle Stoffe verwendet hatte. Auch wenn ich nicht an den Modekollektionen, sondern ausschließlich an Accessoires für ihn gearbeitet habe, konnte ich mir ein großes Wissen über alle Arten von Materialien aneignen. Allerdings verwende ich sie immer aus der Sicht eines Industriedesigners und nicht der eines Modemachers. Ich habe nicht das Wissen, um Dinge allein aus Stoff zu fertigen.

Würden Sie sagen, dass die Materialien bei Ihnen an erster Stelle stehen?

Ja, bei jedem Projekt. Wenn über mein Design gesprochen wird, fallen immer Begriffe wie minimalistisch, organisch oder dergleichen. Aber das ist mir nicht wichtig. Ich denke, Design ist vor allem ein gedanklicher Prozess, der zugleich sehr stark von Gefühlen geleitet wird. Das macht ihn sehr persönlich. Wenn ich an einem Gegenstand arbeite, kommt die Ästhetik an letzter Stelle. Sie ergibt sich aus den Materialien und der Verarbeitung, für die ich mich zuvor entschieden habe.

HONEYCOMB, von 2D zu 3D: Bienenwaben sind Architektur. Dieser Stuhl ist mit Platten aus Pergamentpapier zusammengesetzt und entfaltet beim Aufklappen seine wabenförmige Struktur. Die endgültige Form des Stuhls entsteht durch seinen Gebrauch.

HONEYCOMB, von 2D zu 3D: Bienenwaben sind Architektur. Dieser Stuhl ist mit Platten aus Pergamentpapier zusammengesetzt und entfaltet beim Aufklappen seine wabenförmige Struktur. Die endgültige Form des Stuhls entsteht durch seinen Gebrauch.

Wie kann man sich Ihren Arbeitsprozess vorstellen? In Ihrem Tokioer Büro beschäftigen Sie derzeit neun Mitarbeiter.

Wir arbeiten sehr häufig mit Modellen, auch wenn unser Raum gar nicht so groß ist. Zusammen haben wir drei Etagen, die allerdings sehr schmal sind. Auf den ersten Blick wirkt es gar nicht wie ein Designbüro, da der gesamte Boden mit Materialproben angefüllt ist. Ich kann auf diese Weise auch die Wirkung besser einschätzen, die diese Materialien aus einer gewissen Distanz entfalten. Wir arbeiten ja nicht nur an Produkten, sondern häufig an Installationen, die ganze Räume füllen. Mir ist dieser Teil der Arbeit immer sehr wichtig, weil ich meine Ideen durch Installationen oft schneller und direkter ausdrücken kann als durch einzelne Produkte. Der Entwicklungsprozess im Design ist oft sehr langsam und von unzähligen Einschränkungen bestimmt.

Für Ihre Installation „Stellar“, die im Rahmen des Swarovski Crystal Palace während der Mailänder Möbelmesse 2010 gezeigt wurde, haben Sie einen gesamten Raum in Nebel gehüllt. Welche Rolle spielen Aggregatzuständen bei der Betrachtung von Design?

Das Konzept der Installation bestand darin, dass ich einen künstlichen Stern aus Kristallen zeigen wollte. Den Nebel habe ich nur verwendet, damit das Licht auf eine intensivere Weise wahrgenommen wird. Ich wollte die natürlichen Wachstumsprozesse nutzen, nach denen sich Kristalle in der Natur bilden. Mit einem ähnlichen Prozess hatte ich bereits 2008 bei meinem „Venus Chair“ experimentiert. Für „Stellar“habe ich einen Block aus weichen Polyesterfasern in ein großes Aquarium gegeben und mit einer Lösung aufgefüllt, in der zuvor Mineralien geschmolzen wurden. Auf den Polyesterfasern haben sich daraufhin Kristalle gebildet und auf natürliche Weise Stück für Stück zur späteren Struktur verdichtet. Es hat fast einen Monat gebraucht, bis das Wachstum abgeschlossen war. Die Idee zu dem Projekt stammt zwar von mir. Doch die Umsetzung hat allein die Natur bewirkt.

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Würden Sie Ihre Arbeit als typisch japanisch bezeichnen?

Ich bin nicht sicher. Die Leute sagen mir zwar immer wieder, wie japanisch sie meine Arbeiten finden. Aber das ist schwierig für mich einzuschätzen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Natur immer eine wichtige Rolle für mich spielt, auch wenn ich sie oft auf eine abstrakte Weise thematisiere. Aber so genau weiß ich es nicht. Die Dinge kommen einfach aus mir heraus.

Vielleicht liegt es an der Leichtigkeit und Transparenz Ihrer Entwürfe. Die für Kartell entworfene Möbelserie „Invisibles“(2010) haben Sie aus mehreren Blöcken transparenten Acrylglases gefertigt. Wer auf dem Sessel Platz nimmt, scheint in der Luft zu schweben.

Mich fasziniert Transparenz, weil sie nie statisch ist. Wenn Licht auf transparente Gegenstände trifft, beginnen sie automatisch, sich zu verändern und auf ihre Umgebung zu reagieren. Licht ist ein sehr wichtiger Teil in meiner Arbeit. Ich nutze es beinahe selbst wie ein Material, das sich verformen und bearbeiten lässt. Als Vorlage für die „Invisibles“ diente übrigens eine gläserne Bank, die ich für mein Büro in Tokio entworfen hatte. Als mich Claudio Luti, der Chef von Kartell, besuchte, gefiel ihm diese Bank und er fragte mich, ob es möglich wäre, dasselbe Konzept auch in Kunststoff umzusetzen. Und so begann das Projekt, das jedoch alles andere als leicht war. Denn transparenter Kunststoff lässt sich nur sehr schwer verarbeiten. Jeder Fehler – auch wenn er an der Innenseite der Objekte passiert – ist schließlich sofort sichtbar. Die Herausforderung lag also vor allem auf der technischen Seite.

Für die Präsentation der Objekte haben Sie eine Installation von hunderttausenden transparenten Kunststoff- Stäbchen in den Schaufenstern des Mailänder Kartell-Showrooms platziert. Können Sie sich vorstellen, auch Räume zu gestalten, die nicht nur temporär sind, sondern bleiben?

Die Verbindung zur Architektur hat mich schon immer gereizt. Künftig möchte ich stärker in diese Richtung arbeiten. In Seoul habe ich vor drei Jahren das Projekt „Rainbow Church“ vorgestellt, das mir schon durch den Kopf ging, als ich Anfang zwanzig war. Ich besuchte damals die Rosenkranzkapelle in Vence in der Nähe von Nizza, die von Henri Matisse gestaltet worden war. Der ganze Raum war von seinen wunderbar-leuchtenden Farben erfüllt, die durch das helle Sonnenlicht verstärkt wurden. Dieser Eindruck hat mich nicht wieder losgelassen. Seitdem wollte ich ein Gebäude entwerfen, in dem sich Licht auf eine ähnlich intensive Weise erfahren lässt.

Konzeption einer "Rainbow Church" (Seoul 2010), inspiriert durch Henri Matisse. Vile hundert Glasprismen brechen das Tageslicht in seine Spektralfarben.

Konzeption einer „Rainbow Church“ (Seoul 2010), inspiriert durch Henri Matisse. Vile hundert Glasprismen brechen das Tageslicht in seine Spektralfarben.

Aber warum ausgerechnet eine Kapelle? Haben Sie einen starken Glauben?

(lacht) Nein, ich bin nicht religiös. Doch die Kapelle in Vence gab mir eine sehr konkrete Vorstellung von der Raumwirkung, die ich erreichen wollte. Denn Licht nimmt man in einer Kirche viel intensiver wahr als in jedem anderen Raum. Mein Entwurf für die „Rainbow Church“ist allerdings kein ganzes Gebäude, sondern lediglich ein Fenster. Es ist neun Meter hoch und besteht aus fünfhundert vertikalen Prismen. Wenn das Sonnenlicht in sie hineinfiel, warfen sie ein ganzes Feld aus Regenbogenmustern auf den Boden, das sich mit dem Stand der Sonne ständig veränderte. Für mich lag darin der erste Schritt in Richtung Architektur. Auch wenn es im Moment noch zu früh ist, möchte ich irgendwann einmal auch ein ganzes Gebäue entwerfen. Wer weiß, vielleicht wird es ja eine Kirche.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Zur Person: Geboren 1967 in der japanischen Präfektur Saga, studierte Tokujin Yoshioka an der Kuwasawa Design School in Tokio unter den Designlegenden Shiro Kuramata (1987-1988) und Issey Miyake (1988-1992) Industriedesign. Miyake war nicht nur sein Professor, sondern wurde zu seinem späteren Arbeitgeber und Mentor, mit dem ihm bis heute eine über 20-jährige Zusammenarbeit verbindet. Mit der Gründung seines eigenen Designbüros in Tokio im Jahr 2000 begann Yoshioka den experimentellen Umgang mit Materialien und Produktionsmethoden aus Miyakes Studio in die Welt des Möbel- und Interieurdesigns zu übertragen. Zu seinen Kunden gehören Marken wie Moroso, Kartell, Cartier, Hermès, Swarowski, Driade und Lexus. Seine Arbeiten sind in der ständigen Sammlung des Museum of Modern Art in New York und dem Centre Pompidou in Paris vertreten. 

 

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