Schaffe schaffe, Häusle baue - Quality Magazine
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Schaffe schaffe, Häusle baue

 

Wer im letzten Sommer die Fondation Cartier in Paris besucht hat, der hat in einem der vielfältigsten kulturellen Spektren der französischen Hauptstadt einen der größten architektonischen Visionäre der Neuzeit erleben dürfen, Junya Ishigami.

von Susanne Filter

Grundsätzlich sehr sensibel und zugleich akzentuiert kuratiert, wurde die Ausstellung des international bekannten japanischen Architekten und Künstlers zu einer besonderen Challenge. Wie lässt sich Architektur in einer sehr aussagekräftigen Architektur eines anderen zeigen? Kein anderer als Jean Nouvel zeichnet verantwortlich für das sehr moderne und lichtdurchflutete Gebäude auf dem Boulevard Raspail in Paris, das für sich gesehen bereits als eigenständiges Kunstwerk gilt. Das Projekt gelang. Mehr als zehn Jahre beschäftigten sich die Kuratoren der Fondation Cartier mit Junya, doch erst jetzt wurde eine Einzelausstellung des berühmten Japaners, verwirklicht.

„Wir wollten ihm dabei so viel Freiraum wie möglich geben, eine Tabula rasa, auf der er sich komplett austoben kann. So ist er in der Lage etwas komplett Unerwartetes zu vollbringen. Seine Beziehung zur Umwelt und der Natur – all das fließt in seine Architektur ein. Die Umgebung, seiner architektonischen Arbeit hat großen Einfluss auf das Design. Alles gehört zusammen.“ , so Isabelle Gaudefroy, Kuratorin der Ausstellung.

Durch die extra für die Ausstellung gefertigten Modelle des Stararchitekten erfuhr der Besucher der Ausstellung in geradezu physischer Wahrnehmung den Raum und die Einbettung von Junyas Arbeiten.

„Junyas besondere Qualität ist, dass er kein Detail außer Acht lässt. Er weiß stets genau was er tun will und wie er es umsetzen wird. Man kann sagen, er ist ein absoluter Perfektionist. Alles ist bis ins kleinste Details geplant, was zuweilen sehr viel Zeit beansprucht.Seine Kunden wissen das im voraus und sind bereit, diese oft lang andauernden Prozesse zu tragen.“, so Isabelle Gaudefroy.

Dennoch sind seine Arbeiten nicht reine Fiktion sondern Realität, oder im Begriff es zu werden. Es geht nicht um abstrakte Visionen , die ihn als Architekten glücklich machen, sondern er will Gebäude schaffen, in denen sich die Menschen gut und wohl fühlen. Junyas Statement auf die Frage, was wichtiger sei – Schönheit oder Komfort : „Ein unschöner Ort kann niemals komfortabel sein kann. Komfort bedingt Schönheit. Beides gehört zusammen.“

 

© Renaud Monfourny

 

Er hat bereits diverse sehr ungewöhnliche Architekturprojekte entworfen und realisiert , von denen viele im asiatischen Raum umgesetzt werden. Herausragend ist die Kapelle , die derzeit auf dem Gipfel eines kleinen Berges in China entsteht. Sie ist spirituell und zwingt zur Konzentration auf das Wesentliche. Zugleich wirkt sie sehr diskret.
Von einem höhlenartigen Restaurant bis zu einem gigantischen Kindergarten in freier Natur, mit Kindern und Tierdarstellungen aus aller Welt, der ebenfalls in China realisiert wird, gibt es auch ein sehr spannendes Projekt in Dänemarks Hauptstadt. Es ist ein Entwurf für eine NGO (Nichtregierungsorganisation) namens „House of Peace“ und soll ein Denkmal für den Frieden werden und bildet ein auf Stelzen stehendes Ensemble mitten im Wasser, ein Venedig von unten.

Die Einbettung von Gebäuden und Architektur in Wasser ist sehr häufig in der japanischen Architektur zu finden. Junya arbeitet dabei eng mit Klimaingenieuren zusammen, um herauszufinden, wie man die Gebäude energetisch optimieren kann. Ein anderes Projekt, sehr emotional und persönlich, ist seinen Eltern gewidmet. Es wird auf dem Grundstück seiner Großmutter gebaut, wo auch Junya als Kind aufgewachsen ist. Der Ort ist etwa eine Stunde von Tokio entfernt und war früher ein kleines Bauerndorf. Das sehr moderne Haus ist eng verbunden mit der kulturellen Basis einer japanischen Familie und wäre so sicherlich nicht auf den europäischen Raum adaptierbar. Doch gerade dies empfinden wir als besonders wertvoll. Modernität und globales Denken bedeuten nicht, seine eigenen Wurzeln und kulturelle Identität aufzugeben. Das Haus soll an die intime Landschaft aus Junyas Erinnerungen andocken und auch der Garten wurde von traditionellen japanischen Gärten inspiriert.

Diese kulturelle Identität findet sich in einem weiteren Herzensprojekt des japanischen Architekten, für das es leider noch keine Investoren gibt. In einer Gesellschaft, in der die Menschen zusehends älter werden, gehört Demenz zur täglichen Realität. Junya stellte sich die Frage, wie man ein Alten- oder Pflegeheim erschaffen kann, in der die Individualität nicht verloren geht, sich die Menschen zu Hause fühlen und an ihre wohnlichen Wurzeln erinnern können. Wie erschaffe ich Heimat und familiäre Vertrautheit, wenn das Gehirn uns langsam verlässt?
Er kaufte reihenweise historische, kleine Häuser in traditioneller japanischer Bauweise und entkernte sie, so dass nur das stabile Holzgerüst übrigblieb, was man in einem Stück transportieren konnte, quasi das Skelett eines Mobile Homes.

Jede Holzstruktur war sich ähnlich und doch ganz anders. In seinem Konzept fügte Junya all diese einzelnen Holzhäuser zu einem großen Ensemble zusammen. Einheit in der Vielfalt, Wiedererkennbarkeit und Heimatgefühl – ist es nicht das, was sich alle alten Menschen, egal welchen Kulturkreises, wünschen?
Für Junya gibt es zunächst keine baulichen Hindernisse. Er vermittelt das Gefühl, dass die Statik in seinen Projekten aufgehoben wird. Die Leichtigkeit mit der seine Gebäude schweben oder ohne viele tragende Elemente auskommen, verdankt er seinem unbegrenzten Drang zu experimentieren und den Glauben daran, eine Lösung zu finden. Eine dreiflügelige Bibliothek, komplett aus Glas und ohne jede Stütze. Unmöglich? Nein, sondern gebaute Realität.
Ebenso wie ein Gebäude, welches bereits 2008 in Japan in der Nähe von Tokio und für Studenten einer Ingenieurschule gebaut wurde. Es ist sehr besonders wegen seiner schmalen Säulen. Diese erwecken den Eindruck, als würde man durch einen Wald laufen. Junya brauchte zwei Jahre, nur um die Platzierung dieser Säulen zu planen. Er wollte etwas Stabiles, was gleichzeitig aber auch ästhetisch ist. Diese komplizierte Konstruktion ist das Resultat seiner Arbeit und das nicht Aufgeben seiner Vision. Junya selbst zu seinem Selbstverständnis und seiner Aufgabe als Architekt :

„Ich möchte frei über Architektur nachdenken; meinen Blick auf Architektur flexibel, umfassend und subtil erweitern – jenseits der Klischees von dem, was für gewöhnlich unter Architektur verstanden wird.
Beeinflusst die Geschwindigkeit der gesellschaftlichen Veränderung gleichermaßen die Architektur?
Die Gesellschaft, in der wir leben, verändert sich stetig und akzeptiert eine vielfältigere Werteskala, mehr als je zuvor. Es wird für bereits vorgefasste Gebäudetypen und deren Funktionen zunehmend schwieriger, unseren aktuellen Gegebenheiten gerecht zu werden. Als Architekten müssen wir mit Sorgfalt und Demut die Meinungen aller Menschen auf dieser Erde hören, die auf Architektur angewiesen sind. Wir sollten die vermeintlichen Allgemeingültigkeiten im Hinblick auf Architektur aufheben – die gängigen Praktiken, Kategorien und Stile – und Architektur neu denken. So, als ob wir Gebäude in einer Welt konstruieren, in der keinerlei Vorstellung von Architektur existiert.“

Auf unsere abschließenden Frage, was es für ihn heißt, in der Architektur frei arbeiten zu können, antwortet der Visionär Junya Ishigami:

„Frei über Architektur nachzudenken bedeutet nicht, Gebäudeformen zu entwerfen, die dem Selbstdarstellungsdrang des Architekten frönen. Es bedeutet vielmehr, ehrlich und unvoreingenommen abzuwägen, welche Art von Architektur gesucht und gebraucht wird. Wir sollten überlegen, was es heißt, frei zu denken, und, ob Architektur Sitten und Gepflogenheiten miteinbeziehen sollte. Wir sollten uns fragen, für wen Architektur gemacht wird? Für jedermann oder jemanden Bestimmtes? Nur für Menschen oder für alle Lebewesen? Vielleicht ist es nötig, Architektur in einem Kontext zu denken, in dem alle diese Punkte gleichermaßen berücksichtigt werden.Frei über Architektur nachzudenken heißt, ich erwarte eine Zukunft, in der neue Rollen und Bedingungen für die Architektur eintreten, die zuvor unvorstellbar waren.“

Das bedeutet, dass wir noch nicht annähernd wissen, was uns die Architektur der Zukunft bescheren wird, und es heißt zugleich, dass jeder Einzelne darauf achten sollte, wer die Räume unseres Lebens gestaltet.

www.fondationcartier.com

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