01 Jun Oben am Himmel
Grenzen, Regeln und Konventionen – das alles scheinen Fremdworte für Thomas Heatherwick zu sein. Wenn der Designer und seine 200 Mitarbeiter an die Arbeit gehen, muten Naturgesetzte und Normalität wie triviale Nebensachen an. Das Ergebnis ist meist preisgekrönt und stets atemberaubend: Einen Parfumflakon für Christian Louboutin gestaltete man im Hause Heatherwick aus gefaltetem Glas, seine Feuerinstallation bei den Olympischen Spielen 2012 in London faszinierte Menschen weltweit durch den Kontrast aus archaischer Feuerkraft und zarter Flexibilität. Auf den surreal anmutenden Treppen des Flagshipstores von Longchamp in New York, dessen Innendesign Heatherwick 2006 übernahm, erwartet man jeden Moment, Salvador Dalí zu begegnen.
Nun hinterlässt der Londoner erneut seine Spur in New York, genauer gesagt in Manhatten. Im Westen der Insel entstehen derzeit auf einem still gelegten Gleisareal die Hudson Yards. Dieser neue Distrikt soll in weniger als zehn Jahren zur zweitgrößten grünen Oase der Metropole werden. Bisher gilt der Central Park als Ort für Entspannung und Ruhe inmitten der Stadt, die niemals schläft. Ab 2025 soll dies auch in den Hudson Yards möglich sein. Umgeben von Parks, Restaurants und Boutiquen sollen hier über 125.000 Menschen neuen Arbeits-, Erholungs- und Lebensraum finden.
Ein ganz neues Stadtviertel braucht natürlich auch ein ganz eigenes Markenzeichen: Vessel. So heißt der monumentale und gleichsam filigrane Aussichtsturm, den Thomas Heatherwick für den zentralen Platz der Hudson Yards entwarf und der bereits 2018 eröffnet werden soll. Er habe einen Ort kreieren wollen, der die Zukunft des entstehenden Viertels feiere, so Heatherwick. Ein Kunstwerk, das die Menschen nicht nur ansehen, sondern auch anfassen und betreten können. Sich selbst und die eigene Umwelt neu zu entdecken, dafür möchte Heatherwick Raum schaffen.
Die kreisförmig angeordneten, in die Höhe strebenden Treppen aus Stahl eröffnen mit jeder ihrer 2500 Stufen eine neue Perspektive – auf New York, aber auch auf die Menschen, denen man dort begegnet. 154 Treppenabsätze laden zum Verweilen ein, 80 Plattformen eröffnen neue Blicke auf das sich ständig wandelnde New York und die entstehenden Hudson Yards. Ein komplett aus Treppen bestehendes Gebäude, das trotz ständiger Bewegung kein non-lieu im Sinne Marc Augés ist, sondern gerade Verwurzelung mit einer Stadt bedeutet, die keinen Stillstand kennt: Heatherwick und seinem Team ist es wieder gelungen, bekannte Formen ganz neu zu denken.
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