07 Dez Die neue Avantgarde
von Norman Kietzmann
Was derzeit in den Werkstätten von Webern, Schreinern, Polsterern, Keramikern und Glasbläsern entsteht, lässt nicht nur die Herzen von Hippstern höher schlagen. Immer mehr Unternehmen schließen sich dem Trend zum Handwerk an, der mittlerweile fast alle gestalterischen Disziplinen erfasst hat. Das Interessante hierbei: Es sind nicht die alten Hasen, die dem vermeintlich Tradierten zu neuem Glanz verhelfen. Im Gegenteil, das Handwerk wird ausgerechnet von den ganz Jungen wiederbelebt.
Im Design galt über Dekaden hinweg eine feste Rangordnung. Was in Serie hergestellt wird, verspricht Gegenwart. Was von Hand gefertigt wird, wirkt rückwärtsgewandt und altbacken. Viele würden heute genau das Gegenteil behaupten. Der Grund für diesen Sinneswandel liegt auf der Hand: Schließlich wird der perfekten Industrieform eine sinnliche, archaische und ein Stück weit auch unvollkommene Facette entgegengesetzt. Die kalte, raue und austauschbare Warenwelt wird auf diese Weise mit Wärme gepaart und somit menschlicher gemacht.
„Unser Leben ist durch Smartphones und Clouds immer immaterieller geworden. Anstelle von Fotoalben haben wir digitale Ordner, von denen wir hoffen, dass sie beim nächsten Software-Update nicht verloren gehen. Darum sehnen wir uns nach echter Materialität“, sagt Sebastian Herkner. Der Offenbacher Designer arbeitet bereits seit mehreren Jahren für handwerkliche Betriebe wie den Porzellanhersteller Rosenthal oder die tschechische Glasmanufaktur Verreum. Seinen Durchbruch hat der 36jährige ebenfalls einem handgefertigten Entwurf zu verdanken, dem 2009 auf der Nachwuchsschau Salone Satellite in Mailand vorgestellten Bell Table, der seit 2012 vom Münchner Möbelhersteller Classicon produziert wird – und zu einem großen Erfolg wurde.
Anfangs hatte Herkner lange suchen müssen, um einen Produzenten für das voluminöse Glasgestell zu finden. Er wurde schließlich im Bayerischen Wald bei der Glasbläserei Poschinger fündig, die auf eine fast 450-jährige Geschichte zurückblickt. „Für junge Designer haben handwerkliche Dinge den Vorteil, dass sie in kleinen Auflagen zu produzieren sind. Für einen industriellen Kunststoffstuhl muss ich eine Spritzgussform für 50.000 Euro anfertigen. Eine Glasform wird aus Holz gedrechselt und kostet nur ein paar hundert Euro“, erklärt Sebastian Herkner. Und in der Tat: Das vermeintlich rückwärts gewandte Handwerk hat vor allem die junge Gestaltergeneration in den Bann gezogen, die ihre Ideen in Kleinserie oder als Einzelstücke in die Realität umsetzen, ohne erst mühsam einen etablierten Hersteller suchen zu müssen.
Auf der diesjährigen Kölner Möbelmesse hat Sebastian Herkner eine Fortsetzung seiner Kollektion Ames Sala vorgestellt, die geflochtene Outdoor-Möbel, Körbe, Teppiche und Keramikschalen umfasst. Der Möbel- und Accessoire-Hersteller Ames ist 2006 von der Kolumbianerin Ana Maria Calderón Kayser in der Eifel gegründet worden und lotet seitdem die kulturellen Schnittpunkte in der Gestaltung aus. Sämtliche Produkte der Kollektion sind während eines mehrwöchigen Aufenthalts in Kolumbien entstanden. „Unsere Idee war es, mit den Kunsthandwerkern sowie ihren Materialien und Farben zu arbeiten. Wir wollten sie nicht aus ihrem Alltag herausnehmen, sondern einen Dialog aufbauen“, bringt Ana Maria Calderón Kayser den Anspruch auf den Punkt.
Auch dies ist typisch für das neue Handwerksrevival. Die Designer gehen nicht mit vorgefertigten Ideen in die Werkstätten und lassen sie dort lediglich umsetzen. Sie beziehen die Handwerker ganz bewusst in den Gestaltungsprozess mit ein. Welche Fertigkeiten haben sie? Worin liegen ihre Stärken? Wovon sollte man besser die Finger lassen? Welche Möglichkeiten bieten ihre Werkzeuge? „Wir haben daraus eine Reihe von Produkten entwickelt, bei denen die Handwerker ihre eigene Identität und Kultur behalten. Aber natürlich steckt auch ein Teil von mir darin, sonst wären die Produkte ja reine Kolumbien-Souvenirs“, erklärt Sebastian Herkner. Es geht um Authentizität, die eine ganz entscheidende Rolle beim derzeitigen Handwerksrevival spielt.
Auch Keramik ist eine Disziplin, die nicht auf Anhieb mit Gegenwart und Zeitgeist assoziiert wird. Zu stark wirken die Erinnerungen an das großelterliche Teeservice, kitschige Figurensammlungen und sonstigen Nippes nach, der aus der frei verformbaren Tonmasse gearbeitet wird. Doch auch diese Branche schüttelt das angestaubte Image von sich. Ein Motor dieser Entwicklung ist die englische Stadt Stoke-on-Trent, die seit dem 17. Jahrhundert als Zentrum der britischen Keramikindustrie gilt. Auch hier sah es zunächst düster aus. Von 50.000 Arbeitern, die 1980 in den Werkstätten von Wedgwood und anderen Firmen beschäftigt waren, sind heute nur noch 9.000 übrig geblieben.
Trotz dieses Schrumpfungsprozesses hat sich die Lage jedoch stabilisiert – nicht zuletzt dank zahlreicher junger Keramikgestalter, die sich in der Region niederlassen haben und fernab vom quirligen London die Tradition neu beleben. Als Plattform für ihre Kreationen dient die britische Keramik-Biennale, die im Herbst 2017 zum fünften Mal in Stoke-on-Trent stattfinden wird. Der Schwerpunkt des Festivals liegt auf Arbeiten, die die Grenzen zwischen Kunst, Kunsthandwerk und Gebrauchsobjekt verschwimmen lassen und Keramik als ein Material von poetischer Leichtigkeit und taktiler Sinnlichkeit begreifen. Auch schimmernde Farben und haptische Texturen spielen in vielen Arbeiten eine wichtige Rolle, die sich vom sterilen Glanz der industriell gefertigten Massen-Keramik klar unterscheiden wollen.
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